Freitag, 30. Juli 2010


Vorhölle, vormittags

O Wall von circa 99 Monitoren im Saturn
in Bergisch Gladbach, wo noch jeder Ball
im Spiel bleibt, auch bei einzelweisem Schirmausfall
im Flachbildwald mit seinen Volksempfang-Figurn;

wo wenn die Hand von einer dieser Sportnaturn
nach oben senst: so ssst im Handgrußschwall,
so ohne angesichts der Stummfilmschaltung Rückwallhall,
in 99 Tormann-Abschlag-Deutschgruß-Positurn;

wo du dann denkst: Na schön, so spät iss schon, jetzt reichs,
am Ende eines langen Tages Preisvergleichs
gehn alle von den Wandbildschirmen aus.

Wannseh ich schonn son Spiel, wofür son teures Plasma-
LCD-Dings oder so, sich lohnt. Nee lassma.
Doch staunste schonn und finss den Weg kaum mehr nach Haus.

© Thomas Krüger, Juli 2010

Sonntag, 25. Juli 2010


Auf meine Lesebrille

Mein Rest in nikabischen Stoffen,
mein Körper ganz Augen; am Schlitz
der Nasenspitzbrille, dem Sitz
von Eingang und Ausgang, schmal offen;

von schwarzweißer Klarheit betroffen,
von Wäldern aus Riesen: hochspitz,
von Hinter- um Hintergrundblitz,
von Schattentanzstillstand besoffen:

Wie neu scheint im Lesen mit Brille
die Welt vor der Krummglaspupille,
wie spannt sie mich fest hinter Text?

Wie hüllt sie mich ein, die mich füllt,
mich zielgenau bildet, vermüllt?
Die Weltsicht ist kastenverhext.

© Thomas Krüger, Juli 2010
Hans-guck-in-die-Luft

Vermuten wir Gutes: Die wenigen, die
den Blick zum Himmel hin richten,
gehorchen dem schlichten
Drang der Besorgten; sie

würden sich nie
politisch fehlrichten
und leichthin verzichten
auf untenerguckbare Epiphanie.

Was also hemmt das blickrichtige,
kollektivistische, wichtige,
Gucken nach unten bei jenen?

Cumulonimbusausdehnen!
Ein IPad-Regenschirm Kauf
löste dies Guckproblem auf.

© Thomas Krüger, Juli 2010







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Padding

Man sagt dir eine Schwäche nach,
als Frau, für wahrhaft Funktionales,
nicht allzu übertrieben Digitales.
Du weißt, wovon ich spreche?

So einfach, so bestechend flach,
berührend, wenn berührt, ein geniales
Leichtbauteil des silikonen Tales,
mit feinem Schillern auf der Oberfläche:

Ach Mama, das ist reinstes Fingerfett,
das geht mit einem kleinen Schaberset
zur Kochfeldpflege weg; und ein Verkaufsgenie

von Apples Oberflächen-Edler-Machern,
der kann das IPad-Fett gewiss verschachern:
als Implantat-Verbesserer, der Pornoindustrie.

© Thomas Krüger, Juli 2010







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Samstag, 10. Juli 2010

Was soll ich sagen?

Der Eisberg: Aus den
Fenstern des dahin-
rasenden Speisewagens im
Sommergrün der Norddeutschen
Tiefebene bei Oebisfelde ruft er
mit Staunen in
vielerlei Stimmen
durcheinander:
Wahnsinn! Da vorn!
Ein Eisberg! Ein
Zuckerhut! Nein, das ist
Eis! Sieht aus wie ein riesiger
Zuckerhut! Glänzendes Eis, so
hoch wie der Himmel!
Eisberg voraus!!
Und viele der
Stimmen aus diesem da-
hinrasenden Speisewagen zer-
splittern am Megakathe-
dralgroßen des Eisbergs, am
den Sog eines umgekippten, zum
Himmel hin aufragenden Parabo-
loids Erfüllenden mit
Ähnlichkeit zu Zuckerhut und
invertiertem, dahinwirbelnden Tor-
nado, dessen
kreisrunder Schneckenfuß die
Ebene durchfräsend sämtliche Um-
gebung von Luft und Wesenheit zu
lauen Ausweichmanövern von
Wind degradiert und ein
allererstes Wort dort
flußläufig niederschreibt
– vielleicht Mama –
in der zitternden, von
Rufen und Schreien begleiteten
Schrift eines Megaerschreckten
– vielleicht eine Gleichung –
was die kleinen Staunenden, Ver-
wunderten nahezu als Stillstand erleben
– vielleicht SOS –
was der riesigen Bewegung in ihrem
Stillstand, in ihrem
Tosen, als Wort mit Wundkern die
kleinstmöglichen Flügel verleiht
– für die größt-
mögliche Lösung der mög-
lichen Gleichung
möglicherweise.

© Thomas Krüger, Juli 2010







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Mittwoch, 7. Juli 2010

Erinnerung

Sommermorgen: Zylinderhuttragende Arbeiter rissen
am siebenten Dezember 2010 nach Durchfahrt der frühen
Pendlerzüge ein sechs Kilometer langes Stück Gleis
aus den Gleisen von Nürnberg nach Fürth und
umgekehrt und hielten mit ihrer stillen Aktion ein
Publikum von Birkenspannern und Windhunden und
wenigen morgenmüde nasbohrenden, gleisnah da-
hinspielenden Kindern beschäftigt - füllten dem an-
schwellenden Schichtbetrieb sein edelmetallenes Ver-
dauungsproduzieren: Geist-und-Ding-Werden, Ticken und
Singen mit vollkommener, berührungsloser Leere, Me-
tallabbau, Grube und Hase, und schufen, ent-
nahm man den bis an den Schluß der Aktion so
nasbohrend wenigen Zeugen, Gefühle surround von
glotzenden Kühen in tiefliegenden Wolken, ein unbe-
rührt von allen unfallverwandten Taktungen wattiges
kieferorthopädisches Profil in schwellender Sommer-
schwüle geschossener Tiere, die nur der König
schießen darf: eine Art Zahnarzt-Nahtod-Erfahrung
blühender Landschaft. Dann sah man nach vorn.

© Thomas Krüger, Juli 2010







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Sommer

Tief hängen Leitungen: summende Leinen.
Am Starkstrom zuckt Wäsche zum Trocknen.
Hände durchbrennen aus triefendem Socknen
Zündschnüre-Inneres bauchwärts in einen

Leib voller Steine. Qua Leiter vereinen
vom Himmel hoch her sich die rocknen,
blusen- und hosenen, meta-flip-flopnen
Flaggen von Brüsten und Hüften und Beinen.

Schwer ist der Sommer von Zeitungen.
Sie fächeln sich unter den Leitungen
Rauch zu in Städten von Grün.

Offen stehn Häusergespenster.
Im Brennpunkt der Türen und Fenster
feuerlochfüllend steht Glühn.

© Thomas Krüger, Juli 2010







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