Mittwoch, 6. Mai 2009


Zugwechsel

Warum…
Bert Brecht

Ein Lied will ich singen. Ich sitze im Zug, allmächtig so
vor mich hin. Die Kurve ist Deutschland zur Linken, ist Deutschland
zur Rechten. Ich sitze im Zug so 60 Minuten ver-
spätet, verpaß einen Einfall, der macht mich bedeutend, als
wär ich bei Nürnberger Rostbratwürstchen im Bistro-Waggon
ganz vorne dabei. Eins schneid ich entzwei. Ich bin ohnehin
nur ein Mann. Ich trinke und stößt auch der Zug mit mir an: ich
fürchte kein Leid. Ach, der Zug ist meist pünktlich in Deutschland. Be-
wältigt mich 60 Minuten Vergangenheit? Allmählich
nimmt meine Zukunft den Weg zur Küste auch ohne mich. Ich
seh das nicht eng. Ich punkte im Bahnhof Hannover. Der Zug
geht meist stündlich in Deutschland. Verpass ich den Einlauf des ei-
nen, so folgt doch ein anderer immer. Ich sitze im Zug,
ein Lied kann ich singen. Allmächtiger. Ich wirke zur Zeit
übernächtigt. Zur Rechten, zur Linken nur Dunkelheit. Der
Zug fährt bedächtig. Ich weiß nicht, warum. Ich weiß nicht, wohin.
Ich möchte nur schlafen. Ein nächtliches Traumbild: ich sehe
zur Rechten, zur Linken ein halb-durches Wurststückchen sinken.

© Thomas Krüger, Januar 2009

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